Vision
Grenzen trennen Menschen nicht nur entlang der Staaten, sondern besonders auch in unseren Köpfen. Wir sind gegen diese Trennung! - wir wollen die Grenzen zerstören, die zu ihr führen.
Oft sind diese Grenzen jedoch verborgen und die Trennung bleibt unbemerkt. Es bedarf somit ständiger Reflexion und Wachsamkeit, um auch jene Feinheiten nicht zu übersehen, die uns Menschen so grundlegend voneinander entfernen.
Welches sind nun aber die Stromlinien unseres Denkens und Handelns, die dasjenige dennoch nur bekräftigen, wogegen wir zu denken und handeln antreten? Auch wir haben kein Patentrezept, um diese Frage umfassend und abschliessend zu beantworten. Unentwegt aber stellen wir sie und folgen den Einsichten, zu denen wir dabei gelangen.
„Die terminologischen Gewänder…
Dies führte uns direkt dazu, auf die Verwendung bestimmter Begriffe und Formulierungen zu verzichten. Den Begriff „Flüchtling“, beispielsweise, vermeiden wir weitgehend und ersetzen ihn durch jenen des „geflüchteten Menschen“. Auch dieser Begriff ist nicht von all unseren Zweifeln enthoben. Dennoch trägt er das Wort „Mensch“ in sich und weist damit auf das zentral Verbindende hin, das immer unabhängig von der Eigenschaft, geflüchtet zu sein, besteht. Wir hoffen, durch diese Begriffsabkehr einer diskursiven Praxis, die überhaupt erst konstruiert, was sie bezeichnet, entgegenhalten zu können.
Von grundsätzlichem Charakter ist sodann unser Bestreben, unserem Schreiben und Denken jenes ökonomischen Denkkategorien entspringende Vokabular nicht zu unterlegen, das sich gerade dadurch auszeichnet, gegenüber den Sachverhalten und Abläufen, die es zu erfassen sucht, indifferent zu bleiben: Nicht um x-beliebige Produkte geht es uns – Menschen sind es, mit und zwischen denen wir Beziehungen knüpfen und aufrechterhalten. Stets wollen wir diesem Umstand gerecht werden und niemals soll er in Vergessenheit geraten.
…kleiden das Handeln…
Doch terminologische Gewänder allein reichen nicht aus, um wirkungsvoll der Trennung zwischen Menschen entgegenzuwirken. Notwendig ist besonders ein Handeln, durch das unsere Ideen umgesetzt werden.
Wir gehen davon aus, dass vielen der geflüchteten Menschen die hiesige WG-Wohnkultur unbekannt ist. Nicht nur wissen sie zumeist nicht, was eine WG ist, sondern assoziieren mit ihr, wenn sie erstmalig davon hören, oft die ihnen bekannten Massenunterkünfte. Auf dieser Grundlage sollte niemand in eine WG einziehen! Deshalb ist es geradezu zentral, dass wir geflüchtete Menschen, mit denen wir in Kontakt treten, von Anfang an über Wegeleben und die WG-Wohnkultur aufklären. Zu diesem Zweck führen wir Infoveranstaltungen durch, die jedoch nichts mit einer einseitigen Informationsbeschallung am Hut haben. Vielmehr zeichnen sich diese Veranstaltungen dadurch aus, dass in einer offenen Diskussion den teilnehmenden Menschen die WG-Wohnkultur und Wegeleben nähergebracht wird. Stets lassen wir eine solche Diskussionsrunde in einer WG ausklingen, um den Teilnehmenden anschaulich zu zeigen, wovon wir ihnen erzählen. Die anwesenden Übersetzer_innen spielen hierbei nicht bloss die Rolle von Eins-zu-Eins-Übersetzenden, sondern nehmen, als mit hiesigen Mentalitäten und solchen anderer Länder vertraute Menschen ebenfalls aktiv an der Diskussion teil.
In einem nächsten Schritt sitzen wir in aller Ruhe einzeln mit jenen Menschen zusammen, die sich nach der Diskussionsrunde auch wirklich vorstellen können, baldmöglichst in eine WG einzuziehen. In diesen Gesprächen bringen wir in Erfahrung, welche Art von WG passend wäre und gehen in der folgenden Zeit aktiv für die und mit den Interessierten auf WG-Zimmersuche.
…und Wege werden gelebt!“
Gegen unsere Vorgehensweise lässt sich leicht einwenden, dass sie spätestens dann ihren Charakter verliert, wenn Wegeleben aus der Anfangsphase heraustritt und immer wie mehr Interessierte über uns nach einem WG-Zimmer Ausschau halten. Wie soll es dann möglich sein, nicht zu einem bürokratischen Moloch zu verkommen, der jeglichem Kontakt von Mensch zu Mensch verlustig gegangen ist und Menschen nur noch als Verwaltungsobjekte zu betrachten vermag? Wie also ist es möglich, angesichts zahlreicher und immer ungezählter werdender Menschen, die Spontaneität des Charakters unserer Infoveranstaltungen, die Zeit, die wir uns für diese nehmen, die Einzelgespräche, die gemeinsame WG-Zimmersuche, den Kontakt von Mensch zu Mensch auf Augenhöhe, aus dem durchaus auch Freundschaften entstehen dürfen – wie soll es möglich sein, all dies nicht zu verlieren?
Nur eine Möglichkeit gibt es, die sich unseres Erachtens aufdrängt, dieser Problematik zu begegnen: Es muss gelingen, Wegeleben vollends in der Lebenswirklichkeit aufgehen zu lassen! Dies bedeutet zunächst die Bildung eines Netzwerkes aus zahlreichen Menschen, ob geflüchtet oder nicht, die aktiv an der Verwirklichung von Wegeleben oder ähnlicher Ideen teilhaben. Hierzu könnten beispielsweise regelmässige Treffen für Interessierte durchgeführt werden, in denen wir von unserem Vorgehen an den Infoveranstaltungen berichten und sodann durch die Verknüpfung mit den relevanten Stellen diese Interessierten in die Lage versetzen, selbst solche Infoveranstaltungen auf die Beine zu stellen. Gesucht wären ebenfalls viele Menschen, die gerne Ansprechpersonen für WGs sein möchten und Übersetzer_innen, die leidenschaftlich gerne ihre Motivation zur Umsetzung von Wegeleben einbringen.
Irgendwann würde dieses Netzwerk so fest mit der Lebenswirklichkeit verwoben sein, dass ein Bewusstsein für das Zusammenleben mit geflüchteten Menschen in WGs allerorts besteht und Wegeleben und ähnliche Projekte sich auflösen könnten. Selbst der Begriff des „geflüchteten Menschen“ liesse sich dann durch denjenigen des „Menschen“ ersetzen, da niemand mehr darauf hingewiesen werden müsste, dass es durchaus möglich sei, mit Menschen in einer WG zu leben, die aus anderen Ländern geflüchtet sind.
Dies freilich ist Zukunftsmusik. Die Sehnsucht nach ihren Klängen soll uns jedoch stets dazu motivieren, darauf hinzuarbeiten, dass wir alle einmal Teil des entsprechenden Orchesters werden.
Wege zu gehen ist der Anfang, sie zu leben die Vollendung!